Von Sascha Feldhorst | Fraunhofer IML – Im Rahmen der Gründungsinitiative MotionMiners am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML zeigt die Forschung auf, wie Maschinen den Menschen sinnvoll unterstützen. Eine automatische Aktivitätserkennung soll gleichzeitig Prozesse und Ergonomie in der Intralogistik verbessern ­– ein Gewinn für Unternehmen und Mitarbeiter.

Der hohe Krankenstand in der Logistik zeigt, wie wichtig es ist, die Arbeitsbedingungen in der Branche zu verbessern.

Logistikberufe gehören dem aktuellen Gesundheitsreport des Dachverbands der Betriebskrankenkassen in Deutschland zufolge zu den Berufen mit einem besonders hohen Krankenstand. Häufig leiden die Beschäftigten unter Muskel- und Skeletterkrankungen. Entwicklungen wie diese zeigen, wie wichtig es ist, die Arbeitsbedingungen der Menschen in der Logistik zu verbessern. Das Zauberwort heißt »MotionMining«. Dahinter steckt eine automatische Aktivitätserkennung, wie man sie heute bereits aus dem Sport oder der Freizeit kennt. In der Logistik ist das Thema jedoch neu und weitgehend unerforscht.

Die Bandbreite für den Einsatz einer automatischen Aktivitätserkennung ist groß: Mithilfe von MotionMining lassen sich einzelne Analysen zur Klärung spezifischer Fragestellungen bis hin zu lernenden Langzeitinstallationen umsetzen, die auf Basis des vorhandenen Datenbestandes Handlungsempfehlungen geben und deren Erfolg bewerten. Im Ergebnis verkürzen sich Prozesszeiten im Unternehmen bzw. verringern sich die Arbeitsbelastungen von Mitarbeitern. Neben diesen Anwendungsfällen lässt sich zudem eine Technikinteraktion realisieren. So können beispielsweise Gesten innerhalb eines Kommissionierleitsystems genutzt werden.

Wearables und Beacons erfassen »echte« Daten

Die MotionMiners-Initiative verfolgt zum einen die Erfassung von Bewegungsdaten im Lager, zum anderen deren anschließende Analyse. Mobile Sensoren, Wearables und Beacons – allesamt handelsübliche Systeme – ermöglichen es im ersten Schritt, »echte« Prozessdaten aufzuzeichnen, z. B. ungesunde Bewegungen oder Wegzeiten von Mitarbeitern in der Kommissionierung. Bislang werden solche Daten vielfach noch händisch – durch Beobachtung mithilfe einer Stoppuhr oder einer Kamera – ermittelt.

Der Arbeitnehmerdatenschutz und die Notwendigkeit der Maßnahme müssen im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden.

Der Haken an einem solchen Vorgehen: Bei manuellen Prozessaufnahmen können  nur sehr punktuell Daten aufgenommen werden – der Aufwand wäre sonst zu groß. Bei der Arbeit gefilmt oder von anderen beobachtet zu werden, ist für Mitarbeiter zudem meist sehr unangenehm – zumal die gewonnenen Daten so auch einen direkten Personenbezug haben. Auch betriebliche Datenbanken liefern nur Momentaufnahmen. Was zwischen den Buchungen passiert, ist gänzlich unbekannt. Um reale – oder genauer: realistische – Daten zu erhalten, werden Mitarbeiter mit kleinen unauffälligen Wearables ausgestattet, z. B. einem intelligenten Armband. Darüber werden zum einen Bewegungen aufgezeichnet und zum anderen Umgebungsinformationen wie Temperatur oder Licht wahrgenommen. Der zusätzliche Einsatz von Mini-Sendern, so genannter Beacons, ermöglicht es, weiteres Kontextwissen über manuelle Prozesse zu erlangen. Auf diese Weise kann ein kompletter Prozess in der Kommissionierung ohne eine langfristige manuelle Analyse durchleuchtet werden. Sämtliche Daten werden im Übrigen anonymisiert erhoben. Denn: In Deutschland hat der Gesetzgeber der Überwachung von Mitarbeitern – insbesondere auch, wenn diese auf eine individuelle Leistungsbeurteilung hinausläuft – deutliche Grenzen gesetzt. Der Arbeitnehmerdatenschutz und die Notwendigkeit der Maßnahme müssen im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden.

Zur Auswertung der im betrieblichen Alltag gewonnenen »echten« Daten steht speziell entwickelte Machine-Learning-Lösung zur Verfügung. Sie erlaubt es, die Daten automatisch, d. h. mithilfe von Algorithmen des maschinellen Lernens, zu analysieren. Dazu werden zunächst relevante Bewegungen aus den Daten identifiziert und anschließend mit Hilfe eines tiefen neuronalen Netzes (Deep Learning) verarbeitet. Auf diese Weise können Erkenntnisse im Hinblick auf Prozesseffizienz und Ergonomie gewonnen werden und ungesunde Bewegungen analysiert werden. Im Anschluss werden die Daten für eine Prozessanalyse verdichtet und aufbereitet. Dazu werden die erkannten Bewegungen zusammen mit Kontextinformationen logistischen Aktivitäten zugeordnet, d.h. einzelnen Prozessschritten. Damit gibt es für die Bewertung manueller Tätigkeiten in der Intralogistik erstmals eine leistungsfähige Alternative  – und dies ist nur eines von vielen Beispielen, wozu MotionMining eingesetzt werden kann.

 

Dortmund, März 2017

Über den Autor

Sascha Feldhorst ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML und einer der Köpfe von MotionMiners, einer Initiative des Fraunhofer IML, die im Rahmen der F-Days von Fraunhofer-Venture gefördert wird. Weitere Informationen unter www.motionminers.com.