Von Peter Ittermann und Martin Eisenmann | TU Dortmund – Die Realisation einer humanorientierten Logistikarbeit unter den Bedingungen einer fortschreitenden Digitalisierung ist kein Selbstläufer, sondern voller Voraussetzungen. Ausgangspunkt ist die Perspektive von »Logistik 4.0« als sozio-technisches System: Auf dieser Basis können zentrale Leitkriterien guter digitaler Arbeit als Gestaltungsherausforderungen benannt werden, die auf die Logistik sowie auf logistische Wertschöpfungsketten übertragbar sind.

Einen prominenten Stellenwert in der Industrie 4.0-Debatte hat der Ansatz des sozio-technischen Systems, der gleichermaßen technologische, organisatorische und arbeitsbezogene Faktoren der Systemgestaltung in den Blick nimmt und diese in einen gesellschaftlichen Kontext einbettet. Dieser Ansatz liegt auch den Forschungsaktivitäten im Innovationslabor zugrunde. Die Leitkriterien guter digitaler Arbeit richten sich daher an den Schnittstellen Mensch-Technologie, Mensch-Organisation und Organisation-Technologie aus.

Schnittstelle Mensch-Technologie

Als Kriterien für die Gestaltung der neuen Formen der Interaktion zwischen Mensch und Technik lassen sich Adaptivität und Komplementarität benennen:

  • Adaptivität umfasst dabei Aspekte einer ergonomisch orientierten Anpassung von digitalen Systemen an spezifische Arbeitsbedingungen und Belastungen bzw. eine beanspruchungsoptimale Gestaltung von Industrie 4.0-(Logistik-)Systemen z.B. in der Intralogistik. Darüber hinaus ist eine intelligente Anpassungsfähigkeit der Informations- und Assistenzsysteme an jeweils unterschiedliche Qualifikationsniveaus erforderlich. Zudem wird die Frage aufgeworfen, inwieweit durch den Einsatz von Assistenzsystemen das Erfahrungswissen von Beschäftigten gesichert werden kann.
  • Bei der Komplementarität geht es um eine flexible situationsspezifische Funktionsteilung zwischen Mensch und Maschine und um die Voraussetzungen für eine hinreichende Transparenz und Kontrollierbarkeit des Systems durch die Beschäftigten. So ist es bereits betriebliche Realität, dass intelligente Maschinen autonom Bestellungen durchführen. Dies verändert die Interaktion von Mensch und Technik. Relevante Gestaltungsaspekte sind eine sichere Mensch-Technik-Interaktion durch intuitiv bedienbare und schnell erlernbare Anlagen sowie situationsspezifische Zugänge zu digitaler Information in Echtzeit. Als Beispiel für die neue Interaktion von Mensch und Technik in der logistischen Dienstleistung können die intelligent vernetzten Hebe- und Förderfahrzeuge dienen, die der Mensch erst starten kann, wenn sämtliche Sicherheitsfragen beantwortet wurden.

Entscheidungskompetenzen müssen sich in spezifischer Weise zwischen der neuen Technik und dem Menschen neu einspielen.

Schnittstelle Mensch-Organisation

Die leitenden Kriterien für die Gestaltung von Tätigkeiten an der Schnittstelle Mensch und Organisation können durch die Stichworte Ganzheitlichkeit und Dynamik von Tätigkeiten und Personaleinsatz zusammengefasst werden:

  • Das Kriterium der Ganzheitlichkeit stellt auf die Vollständigkeit von Tätigkeiten in doppelter Hinsicht ab: Zum einen soll eine Tätigkeit nicht nur ausführende, sondern auch dispositive (organisierende, planende und kontrollierende) Aufgaben umfassen. Zum anderen zielt dieses Kriterium auf eine angemessene, belastungsreduzierende Mischung von mehr oder weniger anspruchsvollen Aufgaben. Darüber hinaus ist Ganzheitlichkeit der Tätigkeiten die zentrale Voraussetzung für hohe Regulations- und Handlungsspielräume sowie die Selbstorganisation von Arbeit.
  • Bei der Dynamik von Tätigkeiten (Polyvalenz) geht es um arbeitsorganisatorische Möglichkeiten für einen systematischen Aufgabenwechsel, um Lernprozesse zu ermöglichen und zu fördern. Hier finden auch (altbewährte) Methoden des systematischen Arbeitsplatzwechsels (»Job Rotation«) in den Unternehmen Anwendung, z.B. Wechsel zwischen Bandarbeit, Kommissionieren, Gabelstapler fahren. Zum zweiten fördern die neuen Social-Media-Funktionen die interdisziplinäre Kommunikation und Kooperation zwischen verschieden spezialisierten Beschäftigten und damit die Steigerung der Innovationsfähigkeit der Arbeit und das Finden neuer Lösungen.

Im Kontext nur wenig strukturierter Arbeitsformen wird auch der Einsatz von Mitarbeitern mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Leistungsvoraussetzungen möglich.

Deutlich wird damit, dass die Umsetzung dieser Kriterien eine qualifikatorisch aufgewertete und flexibel integrative Arbeitsorganisation erfordert. Diese ist durch eine lockere Vernetzung unterschiedlich qualifizierter, aber gleichberechtigt agierender Beschäftigter in horizontaler wie auch vertikaler Dimension gekennzeichnet.

Schnittstelle Organisation-Technologie

Als ein zentrales Gestaltungskriterium für die Schnittstelle zwischen Organisation und Technologie ist die weitreichende Einführung von dezentralen Systemen anzusehen. Damit sollen die Gestaltungspotenziale der neuen ausgeprägt dezentralen digitalen Technologien insbesondere in Prozessen der Logistik und überbetrieblichen Vernetzung organisatorisch genutzt werden. Durch selbst- organisierte, d.h. autonome Produktions- und Logistiksysteme eröffnen sich neuartige Möglichkeiten, die technisch-organisatorischen Voraussetzungen für die angeführten neuen Formen flexibel integrierter und innovativer Arbeit zu schaffen. Dezentrale Systeme sind zudem eine wichtige organisatorische Voraussetzung für die verstärkte Öffnung von Unternehmen nach außen und für eine intensivierte Service- und Kundenorientierung sowie für den Wandel von Geschäftsmodellen. Hier liegen Herausforderungen in den Aspekten der Sicherheit, Speicherung und Nutzbarkeit von Daten.

Ein weiteres unverzichtbares Gestaltungskriterium ist eine möglichst weitreichende Partizipation der betroffenen Beschäftigten und ihrer Interessenvertretungen an der Gestaltung und Einführung der digitalen Systeme. Durch die Beteiligung der Beschäftigten können deren Erfahrungen und Prozesswissen in die System- und Arbeitsgestaltung eingebracht werden; zugleich erhöhen weitgefasste Partizipations- und Mitbestimmungsstrukturen die Akzeptanz und Mitwirkung von Beschäftigten und ihren Interessenvertretungen.

Dortmund, November 2017

Zum Nachlesen
Der vorstehende Fachbeitrag ist ein Auszug aus »Hybride Dienstleistungen und Wandel der Arbeit. Herausforderungen und Perspektiven in der Logistik« (Bericht des Forschungsprojekts Innovationslabor Hybride Dienstleistungen in der Logistik), Soziologisches Arbeitspapier Nr. 50/2017 von Peter Ittermann und Martin Eisenmann, Herausgeber Prof. Dr. H. Hirsch-Kreinsen, Prof. Dr. J. Weyer und Prof. Dr. M. Wilkesmann.

Über die Autoren

Dr. Peter Ittermann und Martin Eisenmann sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Forschungsgebiet Industrie- und Arbeitsforschung der Technischen Universität Dortmund.