Von Semhar Kinne | Fraunhofer IML – Exoskelette können in der Social Networked Industry einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, körperliche Beanspruchungen von Mitarbeitern zu reduzieren und ihre Leistungsfähigkeit zu optimieren. Versuche im Rahmen der großen Initiativen des Fraunhofer IML – »Innovationslabor Hybride Dienstleistungen in der Logistik« und »Leistungszentrum Logistik und IT« – sowie im Forschungsprojekt ADINA sollen die Studienlage zu Exoskeletten jetzt verbessern. Die neuesten Vorhaben der sogenannten »Digitalen Ergonomie« basieren auf rechnergestützten Tools.

Exoskelette sind außenliegende mechanische Stützstrukturen und haben das Potenzial, die Ergonomie bei manuellen Tätigkeiten zu verbessern. Solche »Rüstungen« existieren in Form von angetriebenen oder rein mechanischen wirkendenden Systemen und können Menschen beispielsweise beim Heben und Tragen schwerer Lasten unterstützen. In der Logistik ist der Einsatz von Exoskeletten vor allem in der manuellen Lastenhandhabung zur Entlastung der Lendenwirbelsäule oder bei Überschulterarbeit zur Entlastung der Schultern-Nacken-Partie sinnvoll. Grundsätzlich sollen die Stützstrukturen den Mitarbeitern keine übermenschlichen Kräfte verleihen. Vielmehr sollen sie die Überbelastung abfangen, die aus der heutigen, normalen Arbeit resultiert. Damit dienen Exoskelette in erster Linie der Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen sowie der Erhöhung der Ausdauer der Mitarbeiter, die sich im Ergebnis positiv auf die Produktivität auswirkt. Einen Nachweis zur langfristigen Wirksamkeit von Exoskeletten gibt es bisher allerdings noch nicht. Im Forschungsprojekt ADINA, das noch bis Mitte 2020 läuft, werden jedoch verschiedene Pilotanwendungen getestet.

Drei Faktoren für den Einsatz von Exoskeletten

Zwar sind Exoskelette weitaus filigraner als bekannte Synonyme wie „Roboter-Anzüge“ es nahelegen, doch de facto haben sie sich in Logistik und Produktion bislang noch nicht durchgesetzt. Die Gründe dafür sind vielfältig – insbesondere drei Faktoren spielen eine wichtige Rolle:

  • Tragekomfort. Menschen haben unterschiedliche Staturen. Damit ein Exoskelett optimal wirkt, sollte es so passgenau wie möglich sitzen. Den individuellen Einstellmöglichkeiten der Stützstruktur an Körperform und Skelettsystem seines Trägers kommt daher eine hohe Bedeutung zu. Darüber hinaus sollte die Nutzung eines Exoskeletts keinen Einfluss auf die Bewegungsfreiheit haben.
  • Akzeptanz. Die Bereitschaft der Mitarbeiter, ein Exoskelett zu tragen, ist entscheidend für den weiteren Erfolg der Technologie. Die Akzeptanz wird jedoch sowohl durch Bedenken in Bezug auf höhere Leistungsanforderungen als auch durch die Angst vor einem möglichen Imageverlust bei der Verwendung von Arbeitshilfen erschwert.
  • Sicherheit. Speziell angetriebene Exoskelette stellen eine besondere Form der Mensch-Technik-Interaktion dar, deren Herausforderung in der Erfassung der Nutzerintention liegt. Interpretiert die Technik die Absicht eines Trägers falsch, können der Träger selbst oder andere Menschen gefährdet werden. Es muss sichergestellt werden, dass ausschließlich der Mensch die Kontrolle über das System hat.

Die aktuelle Forschung wird daher von dem Gedanken getragen, Einflussgrößen für den erfolgreichen Einsatz der Technologie in der Logistik zu identifizieren und in organisatorische Konzepte einzubinden.

Assistenzsystem unterstützt passgenaue Auswahl

Im Rahmen des »Innovationslabor Hybride Dienstleistungen in der Logistik« haben die Wissenschaftler des Fraunhofer IML eine Versuchsumgebung aufgebaut, in der sie die Arbeitsbeanspruchung beim Einsatz von Exoskeletten unter Berücksichtigung von Handhabung und Tragekomfort analysieren. Aus den Ergebnissen der ersten Laborstudie im Februar dieses Jahres ist ein Assistenzsystem entstanden, das Nutzer bei der individuellen, passgenauen Exoskelett-Auswahl unterstützt. In zukünftigen Studien sollen Teilnehmer dann auch den Komfort und die Entlastung durch das Exoskelett bewerten. Gleichzeitig werden sie zu ihrer Einstellung gegenüber einer Vitaldatenmessung durch das Wearable befragt.

Einsatz von Exoskeletten soll endlich Realität werden – zum Schutz der Mitarbeiter und ihrer Gesundheit.

Die Auswertung ausgewählter Vitaldaten sowie die Analyse von Bewegungsabläufen fließen in ein generelles Konzept für den bedarfsgerechten Einsatz von Exoskeletten ein. Darüber hinaus werden neue Assistenzsysteme entwickelt, um Nutzer für den richtigen Umgang mit Exoskeletten zu sensibilisieren. So ist eine höhere Akzeptanz bei den Anwendern möglich. Der Einsatz von Exoskeletten in der Logistik kann damit endlich Realität werden – zum Schutz der Mitarbeiter und ihrer Gesundheit.

Dortmund, Oktober 2019

 

Über die Autorin

Semhar Kinne ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML und Expertin für Fragen zu Exoskeletten, physikalischer Ergonomie und Handhabungstechnik.