Von Ellen Sünkeler | Fraunhofer IML – Unternehmen können das volle Potenzial der Digitalisierung erst dann ausschöpfen, wenn sie innovative digitale Produkte und Services mit neuen, werthaltigen Geschäftsmodellen versehen.

Wenn es um digitale Geschäftsmodelle geht, fallen oft die Namen von Unternehmen wie Airbnb oder Uber, die bestehende Märkte komplett verändert haben. Ihnen ist es sogar gelungen, ohne ein eigenes physisches Produkt eine ganze Branche zu revolutionieren. Andere Unternehmen dagegen haben ursprünglich physische Produkte wie Musik-CDs, Bücher oder Videokassetten als digitale Produkte auf Plattformmärkten immer und überall verfügbar gemacht und damit ebenfalls einen komplett neuen Markt begründet. Tatsächlich kann sich dem Wandel in der Wertschöpfung heute niemand mehr entziehen. Das gilt insbesondere auch für die technologischen Neuerungen durch Industrie 4.0: Einer Studie der Wirtschaftsberatungsgesellschaft McKinsey zufolge erwarten 80 Prozent aller Unternehmen dadurch einen Einfluss auf das eigene Geschäftsmodell. Allerdings findet eine strukturierte Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen im unternehmerischen Alltag – trotz der hohen Relevanz für den Unternehmenserfolg – nur selten statt. Dabei bietet sich gerade gewachsenen Unternehmen im Rahmen der Digitalisierung die Chance, auf der Basis etablierter erfolgreicher Produkte neue Dienstleistungen und damit neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

»Die Entwicklung geeigneter Geschäftsmodelle ist in der angewandten Forschung heute integraler Bestandteil des Innovationsprozesses.«

Beispiel: der Verpackungsassistent

Im Innovationslabor Hybride Dienstleistungen in der Logistik zeigen die Wissenschaftler anhand verschiedener Showcases entlang der Supply Chain auf, wie sowohl bestehende als auch neue technische Lösungen mit zeitgemäßen Dienstleistungen kombiniert werden können. Bereits während dieses Entwicklungsprozesses muss über praktikable Geschäftsmodelle nachgedacht werden. Ein gutes Beispiel dafür ist das »passt«-System, eine digitale Unterstützung für Mitarbeiter in der Intralogistik, das im Innovationslabor entwickelt wurde.

»passt«, kurz für Packassistent, zeigt dem Mitarbeiter die vorgesehene Verpackungsposition von Artikeln innerhalb einer Versandkartonage der mit Hilfe von LED-Streifen an. Die Vorteile dieses Assistenten liegen in der anschaulichen Visualisierung, die weder das Sichtfeld noch die Bewegungsfreiheit des Mitarbeiters einschränkt, in einer einfachen Integration in bestehende Verpackungsarbeitsplätze sowie in der kostengünstigen Umsetzung. In der Kombination mit der Software PUZZLE®, die ein Packschema bereitstellt, das entweder bereits vorliegt oder dynamisch durch einen Optimieralgorithmus erzeugt werden kann, lässt sich die Beladung von Paletten und Versandkartons zudem weiter optimieren.

Im Rahmen der Entwicklung des Geschäftsmodells für »passt« fokussierten die Wissenschaftler das Wertangebot des neuen Verpackungsassistenten auf drei zentrale Vorteile für potenzielle Nutzer. Erstens: Beim Verpacken der Ware wird bei gleichzeitig verbesserten Prozesszeiten weniger Platz verschwendet. Zweitens: Die Gefahr der Beschädigung der Ware wird gesenkt. Drittens: Das System ist so leicht zu bedienen, dass sich Mitarbeiter nur minimal einarbeiten müssen. Als zentrales Wertversprechen wurde demnach eine Verbesserung der Verpackungsprozesse des Kunden hinsichtlich Zeit- und Qualitätskriterien identifiziert.

Serviceanbieter statt Hardwarelieferant

Noch existiert der Verpackungsassistent nur als Prototyp. Die Forscher des Innovationslabors schlüpften jedoch in die Rolle eines zukünftigen Anbieters. Damit dieser das Werteversprechen des neuen Systems tatsächlich einlösen kann, muss er eine aktive Qualitätskontrolle der Prozesse beim Kunden betreiben und damit einhergehend sein Produkt kontinuierlich verbessern. Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich als Geschäftsmodell ein Ansatz, bei dem der Hersteller nicht als Hardwarelieferant, sondern als Serviceanbieter in den Markt eintritt. Im Zeitalter der Digitalisierung basieren immer mehr Geschäftsmodelle auf diesem Prinzip. Dabei kommen mehrere Modelle infrage: das Abonnement mit monatlicher Gebühr oder Pay-per-Use, d.h. der Kunde zahlt nur, wenn er das System nutzt, evtl. auch abhängig von der Größe der Verpackung oder dem Gewicht der Ware. Solche Varianten versprechen den Kunden eine gleichermaßen wirtschaftlich rentable wie technisch zuverlässige Lösung. Vorteil des Geschäftsmodell 4.0 für das Unternehmen: Es kann sich mit weiteren Beratungs- und Dienstleistungen rund um das Produkt als Serviceanbieter positionieren.

Dortmund, August 2019

Über die Autorin

Ellen Sünkeler, Fraunhofer IML, ist im Innovationslabor Hybride Dienstleistungen in der Logistik für Kommunikation und Marketing zuständig.